Nachhaltigkeit durch Transparenz
Marco Dörr ist seit 2017 Geschäftsführer der Stannol GmbH & Co. KG. Das Thema Nachhaltigkeit ist ihm bei der strategischen Ausrichtung des Unternehmens besonders wichtig. Im Interview erklärt er, warum eine umwelt- und menschengerechte Zinngewinnung in Zukunft immer relevanter wird und wieso ein Umdenken beim Thema Recycling von Lötmitteln stattfinden muss.
Herr Dörr, warum ist das Thema Nachhaltigkeit auch in der Lötmittelbranche wichtig?
Zinn ist einer der Rohstoffe mit den geringsten Reserven. Gleichzeitig ist Zinn zur Herstellung von Elektronikprodukten unabdingbar – das heißt, die Nachfrage ist groß. Mit der primären Rohstoffgewinnung geht aber eine enorme Umweltzerstörung einher, die überwiegend unter menschenunwürdigen Bedingungen in Südostasien stattfindet. Googelt man „Zinn und Indonesien“ in der Bildersuche, bekommt man einen Einblick in die dort herrschenden Verhältnisse: Große Unternehmen nutzen für die Zinngewinnung riesige Schwimmbagger, die den Meeresgrund absaugen und damit alles Leben dort zerstören.
Ganze Familien stehen im Rahmen des so genannten Small-Scale-Mining barfuß mit der Spitzhacke im Schlamm und bauen den Rohstoff ab – ohne jegliche Schutzkleidung oder soziale Absicherung. Auch Kinderarbeit ist hier häufig an der Tagesordnung. Das sind Umstände, mit denen man sich als verantwortungsbewusstes Unternehmen auseinandersetzen sollte.
Warum hat sich Stannol so früh – als erste in der Branche – mit dem Thema umweltverträgliche Zinngewinnung befasst?
Wenn man sich einmal klar macht, welche Missstände in den Abbaugebieten herrschen, ist es schwer, sich nicht näher mit dem Thema zu beschäftigen. Deshalb haben wir uns zum Ziel gesetzt, bessere Alternativen zu dieser Art von Rohstoffgewinnung zu finden. Für Lötmittel aus unserer greenconnect-Reihe greifen wir etwa auf Primärrohstoffe von Unternehmen zurück, die nicht nur internationale Umweltstandards einhalten, sondern auch ausreichende Schutzmaßnahmen für ihre Beschäftigten ergreifen und auf Kinderarbeit verzichten.
Alternativ kommt für die greenconnect-Lötprodukte Zinn zum Einsatz, das aus hochreinen Sekundärrohstoffen besteht – das heißt, Zinn, das mithilfe von hochmodernen Recyclingprozessen innerhalb Europas gewonnen wird. Auch in Zukunft wollen wir das Thema Nachhaltigkeit weiter ausbauen. Nicht nur, was die Herkunft unserer Produkte angeht, sondern auch rund um die Herstellungsprozesse. Durch die Installation von Deckenventilatoren in den Produktionshallen konnten wir etwa dafür sorgen, dass die entstehende Wärme besser in den Hallen verteilt wird und somit die Heizkosten und den CO2-Ausstoß senken.
Was sind die Herausforderungen beim Thema Nachhaltigkeit in der Elektronikindustrie?
Für die Einkäuferinnen und Einkäufer der lotverarbeitenden Unternehmen ist neben der Qualität des Lots hauptsächlich der Preis relevant. Es herrscht häufig die Vorgabe, möglichst günstig Rohstoffe einzukaufen, weil man im internationalen Wettbewerb steht. Zinn, das umwelt- und menschengerecht gewonnen wird, ist aber etwas teurer als konventionell abgebautes Zinn. Glücklicherweise findet in den Unternehmen aber bereits ein Umdenken statt: Einige Elektronikherstellende legen mittlerweile sogar großen Wert darauf, dass das verwendete Lot aus „sauberen“ Quellen stammt.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist das Thema Recycling: Recyceltes Lot hatte in der Branche lange Zeit einen schlechten Ruf. Das lag nicht zuletzt daran, dass recyceltes Lot früher häufig eine minderwertige Qualität hatte. Mit den heutigen modernen Recyclingprozessen erhält man aber qualitativ hochwertige Sekundärrohstoffe, die zum Teil sogar reiner sind als Primärzinn. Hier gilt es, die Unternehmen weiter zu sensibilisieren.
Wo liegen die Chancen bzw. was sind die Perspektiven rund um die nachhaltige Lotproduktion?
Das Thema Recycling wird in Zukunft einen höheren Stellenwert einnehmen, nicht zuletzt aufgrund von immer weiter steigenden Rohstoffpreisen. Höhere Recyclingquoten würden zudem dabei helfen, weniger Zinn abbauen zu müssen und damit manche Missstände gar nicht erst entstehen zu lassen. Deutschland liegt derzeit noch weit unter dem internationalen Durchschnitt, wenn es um das Recycling von Loten geht – hier gibt es ein großes Potenzial, das weiter ausgeschöpft werden sollte. Ein weiteres wichtiges Thema: Transparenz.
Wenn konsequent offengelegt wird, wie und wo Materialien gewonnen werden, Lieferketten nachverfolgbar sind und sich alle Beteiligten leicht darüber informieren können, woher ein Produkt stammt, wird ein großer gesellschaftlicher Druck erzeugt. Auch das wird zu einem weiteren Umdenken beitragen.