Der Digitale Produktpass
Transparente Lieferketten – von der Quelle bis zum Kunden
Anfang Februar war Stannol Gastgeber bei der „Reise in die Kreislaufwirtschaft" der Initiative Mittelstand-Digital Zentrum Zukunftskultur. Ein Highlight der Veranstaltung: Einblicke in die praktische Umsetzung des digitalen Produktpasses, dessen Einführung bei Stannol für den Frühsommer geplant ist.
Stephan Multhaupt, Projektmanager des Mittelstand-Digital Zentrums WertNetzWerke, und Ingo Lomp, Prokurist und Leiter Innovation bei Stannol, beleuchteten, welche Rahmenbedingungen erforderlich sind, um den digitalen Produktpass erfolgreich zu etablieren.
Transparenz auf Knopfdruck
Ziel des digitalen Produktpasses bei Stannol ist es, Transparenz für jedes Fertigungsprodukt zu schaffen, indem Informationen wie die Herkunft der Rohstoffe, der Recyclinganteil, der CO₂-Footprint, technische Daten, Ansprechpartner sowie sicherheits- und anwendungstechnische Hinweise bereitgestellt werden.
Abrufbar ist der DPP dann mithilfe der Artikel- oder Chargennummer über eine temporär erzeugte Webseite, auf der alle relevanten Daten übersichtlich dargestellt werden.
Dabei gibt es zwei Wege, auf die hinterlegten Produktinformationen zuzugreifen: Entweder durch manuelle Eingabe der Nummern auf der Stannol-Webseite oder durch Scannen eines QR-Codes, der künftig auf jedem Produkt zu finden ist.
„Etablieren wollen wir den DPP, weil wir uns intensiv mit den von uns eingesetzten Rohstoffen auseinandersetzen, insbesondere mit dem Rohstoff Zinn, das oft aus kritischen Quellen stammt. Diese Transparenz ist nicht nur für uns wichtig, sondern auch für unsere Kunden, die zunehmend wissen möchten, woher die Materialien in unseren Produkten stammen,“ erklärt Ingo Lomp.
Digitaler Produktpass
Der DPP ist ein Datensatz, der die Komponenten, Materialien und chemischen Substanzen oder auch Informationen zu Reparierbarkeit, Ersatzteilen oder fachgerechter Entsorgung für ein Produkt zusammenfasst. Die Daten stammen aus allen Phasen des Produktlebenszyklus und können in all diesen Phasen für verschiedene Zwecke genutzt werden (Design, Herstellung, Nutzung, Entsorgung).
(BM für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz)

Validierte Daten als Fundament
Wichtig für die Etablierung eines DPP ist zunächst die Bereitstellung von digitalisierten Daten. Je mehr Informationen über die Materialien und Prozesse in digitaler Form vorliegen, desto einfacher wird die Erstellung eines DPP. Stannol verfügte bereits vor der Einführung des digitalen Produktpasses über wesentliche qualitätsbeschreibende Parameter in digitaler Form.
So wird etwa bei Wareneingang der Reinheitsgrad der Rohstoffe analysiert. Diese Analysen werden digital gespeichert und im Laborinformationsmanagementsystem (LIMS) organisiert.
In jedem Fertigungsschritt kommen weitere Eigenschaften dazu, wie etwa das Ausbreitungsverhalten bei einem Lötdraht oder die Säurezahl und der Wassergehalt bei einem Flussmittel.
In den letzten Jahren hat sich der Fokus zudem verstärkt auf Digitalisierung und Nachhaltigkeit gerichtet, sodass zusätzliche Parameter wie zum Beispiel der Product Carbon Footprint (PCF) oder die Recyclingquote integriert wurden. „Nachhaltigkeit ist häufig ein Treiber für Digitalisierung, es ist aber von Vorteil, wenn man bereits eine solide Datengrundlage hat“, betont Stephan Multhaupt.
Plausibilitätsprüfungen zur Qualitätssicherung
Visuelle Prüfungen waren bei Stannol zunächst nicht digital erfasst und mussten in digitale Prozesse überführt werden. „Eine Herausforderung ist auch die Datenverfügbarkeit, da nicht alle Informationen in Echtzeit vorliegen und die Zusammenführung der Datenströme durch die Übertragungsfrequenz entsprechend koordiniert werden muss.
Zudem spielt die Datenqualität eine zentrale Rolle: Durch vielfältige Plausibilitätsprüfungen stellen wir sicher, dass keine fehlerhaften oder unvollständigen Daten auf der Webseite veröffentlicht werden“, erklärt Ingo Lomp. Alle relevanten Informationen über die verwendeten Einsatzstoffe werden direkt am Beschaffungsartikel in der Warenwirtschaft verankert und über die Stückliste den Produkten zugeordnet und aufgelöst. Dieser dynamische Prozess wird kontinuierlich weiterentwickelt.

Datenflüsse steuern und aggregieren
Die Daten für den DPP werden bei Stannol in SQL-Datenbanken gesammelt. Allein im Bereich der Qualitätskontrollen werden im Jahr bis zu 40.000 Analysen durchgeführt. Die Ergebnisse fließen in Datenbanken und werden von dort aus regelmäßig exportiert.
Die Datenaggregation, also die Zusammenführung und Verdichtung von Daten aus verschiedenen Quellen wie dem Labormanagement-Tool, dem ERP-System und weiteren Tabellen, erfolgt über eine eigens entwickelte Software. Alle Daten werden in einen Data Lake überführt und anschließend selektiert.
Ingo Lomp: „Eine besondere Herausforderung ist, dass die DPP-Daten nicht nur auf den einzelnen Artikel, sondern auch auf die jeweilige Charge (Batch) bezogen sind, das heißt, die Angaben beziehen sich immer ganz spezifisch auf die jeweils verwendeten Rohstoffe.“

Wesentlichkeit als Kompass
Der wichtigste Punkt bei der Umsetzung eines digitalen Produktpasses ist, zunächst die wesentlichen Parameter festzulegen. „Entscheidend ist, sich stets vor Augen zu führen, warum man das Ganze macht: Es geht um Relevanz im Hinblick auf Wirkung des eigenen Geschäftsmodells – nicht um jede Nachkommastelle, sondern um die klare und nachvollziehbare Darstellung wichtiger Informationen.
Eine große Herausforderung besteht zudem darin, Regulatorik nicht nur als Pflicht zu sehen, sondern deren Ziel zu verstehen: Transparenz über die wesentlichen Aspekte nachhaltigen Wirtschaften und Handelns zu schaffen“, so Stephan Multhaupt. Eine effiziente Herangehensweise im Umgang mit den Regularien sei etwa, verstärkt auf bestehende Standards und Normen zu setzen.
Viele ISO-Normen ließen sich direkt auf die Sustainable Development Goals (SDG) der Vereinten Nationen und damit auch auf die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) der Europäischen Union bzw. den Green Deal anwenden, erklärt der Experte. Werden vorhandene Strukturen stärker genutzt und sinnvoll integriert, vereinfacht das Prozesse und schafft verlässliche, nachvollziehbare Rahmenbedingungen für alle Beteiligten.
Nachhaltigkeit in allen Facetten begreifen
Ebenfalls im Vorfeld wichtig: Nachhaltigkeit in all ihren Dimensionen zu verstehen. Dazu gehören neben dem CO2-Ausstoß auch soziale Gerechtigkeit, Lieferketten, Biodiversität, sauberes Wasser saubere Luft, der Schutz der Meere und vieles mehr. Stephan Multhaupt: „Erst wenn dieses grundlegende Verständnis da ist, kann man den nächsten Schritt gehen: den Zusammenhang zwischen dem eigenen Geschäftsmodell und den verschiedenen Aspekten der Nachhaltigkeit analysieren. Nur so lässt sich erkennen, welche Auswirkungen die eigene Wertschöpfung auf diese Dimensionen hat.“
Externe Datenbanken als Unterstützung
Des Weiteren sollten die vorhandenen Daten geprüft und deren Qualität bewertet werden. Es ist entscheidend, dass die Daten konsistent und belastbar sind, bevor man mit der Implementierung beginnt. „Es kann auch hilfreich sein, für bestimmte Referenzwerte auf externe Datenbanken zurückzugreifen. Gerade, wenn man selbst nicht alle Prozessschritte im Detail erfassen kann, lassen sich dort definierte Größen finden, die durch frühere Messungen und Forschungen ermittelt wurden“, erklärt Stephan Multhaupt.
Ingo Lomp rät dazu, ein interdisziplinäres Team aus Fachleuten zu bilden, um die komplexe Aufgabe zu bewältigen: Programmierspezialisten, Laborexpertinnen und -experten sowie Mitarbeitende aus der Beschaffung müssen eng zusammenarbeiten. Eventuell kann auch externe Unterstützung durch eine erfahrene Agentur sinnvoll sein.
Beispiele Datenbanken
- ecoinvent
- ELCD (European Reference Life Cycle Database)
- GaBi
- ÖKOBAUDAT
Schritt für Schritt – vom Anfänger zum Profi
„Nachhaltigkeit ist komplex, aber niemand erwartet, dass man von Anfang an jedes Detail perfekt erfasst. Viele Standards und Detailanforderungen befinden sich noch in der Entwicklung und werden durch Forschungsprojekte weiter ausgearbeitet. Der erste Schritt ist, anzufangen und sich an den bestehenden Vorgaben zu orientieren, auch wenn noch nicht alles bis ins Kleinste definiert ist“, betont Stephan Multhaupt.
Ingo Lomp vergleicht den Prozess zum digitalen Produktpass mit dem Autofahren lernen: „Am Anfang steht die Vorbereitung, bei der man sich mit den Grundlagen und der „Straßenverkehrsordnung“, der Regulatorik, vertraut macht. Anfangs gibt es noch Unterstützung, sei es durch Berater oder interne Experten, die wie Fahrlehrer eingreifen und in die geplante Richtung führen. Mit der Zeit gewinnt man dann Routine, entwickelt ein Gefühl für den „Datenverkehr“ und lernt, worauf zu achten ist. Letztlich geht es darum, Schritt für Schritt sicherer und souveräner im Umgang mit Daten und Nachhaltigkeit zu werden.“
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