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Green Electronics

14. und 15. Juni 2023

Green Electronics

14. und 15. Juni 2023

Technologieforum zur Nachhaltigkeit in der Elektronikindustrie

Am 14. und 15. Juni 2023 lud Stannol gemeinsam mit den Partnern kolb Cleaning Technology, MTM Ruhrzinn und dem Verband ZVEI e. V. zum Fachforum „Green Electronics“ auf der Zeche Zollverein ein. Hochkarätige Referentinnen und Referenten gaben spannende Einblicke rund um das Thema Nachhaltigkeit in der Elektronikindustrie und lieferten praktische Tipps zur Umsetzung im eigenen Betrieb.

Rund 90 Teilnehmende trafen sich auf dem Areal des UNESCO-Welterbes der Zeche Zollverein in Essen, um zu aktuellen Nachhaltigkeitsthemen zu diskutieren und Lösungsansätze zu erarbeiten. Bereits zum Get Together am 14. Juni konnte Prof. Dr. Michael Braungart mit seinem Vortrag „Cradle to Cradle als Innovationschance“ die Teilnehmenden zum Nachdenken anregen und kontroverse Diskussionen auslösen.

 

Die Referierenden

Zu den Referierenden am 15. Juni gehörten Lisa Reehten (Bosch Climate Solutions), Pascal Biesenbach (Viadukt GmbH), Stephanie Kopp (Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE)), Manfred Amberger (Zollner Elektronik AG), Andreas Nolte (Aurubis AG), Michael Künsebeck (in4ma Market Research & Analyses) sowie Gerhard Aust und Quentin Zapf (Prettl Electronics GmbH). Die Referentinnen und Referenten gaben anhand von wirtschaftlich erfolgreichen Beispielen einen ganzheitlichen Einblick in das Thema Nachhaltigkeit in der Elektronikfertigung. Moderiert wurde die Veranstaltung von Sabrina Nickel.

Man kann etwas bewegen

In ihrer Keynote „Warum nicht die Welt retten? Klimaneutralität als unternehmerische Verantwortung“ betonte Lisa Reehten von Bosch Climate Solutions, wie wichtig es ist, das Thema so schnell wie möglich anzugehen – man sei schon lange nicht mehr vorne mit dabei, wenn man jetzt starte.

Nicht zu unterschätzen sei zudem die nachfolgende Generation der Arbeitnehmenden, denn diese lege zunehmend Wert auf nachhaltiges Handeln. Auf kritische Fragen von Bewerbenden müsse sich künftig jedes Unternehmen einstellen. Wichtig sei es, überhaupt erst einmal mit dem Thema Nachhaltigkeit zu starten.

Dabei könne man sich zum Beispiel durch andere Nachhaltigkeitsberichte inspirieren lassen. Auch die eigenen Beschäftigten sollten von Anfang an in das Thema miteinbezogen werden – ihre Ideen seien von großer Relevanz.

„Tinder“ für Eigentum Besitzende und Handwerksbetriebe

Pascal Biesenbach von der Viadukt GmbH in Wuppertal gab in seinem Vortrag „Herausforderung Gebäudestand – eine Lösung, wie man die Energiewende smart und effizient organisiert“ Einblicke in ein besonders innovatives Projekt: die Entwicklung eines Online-Assistenten zur Beschleunigung der Gebäude-Energiewende. Mithilfe des Assistenten lässt sich mit wenigen Klicks der Status Quo eines Gebäudes bestimmen, was den Sanierungsbedarf rund um klimafreundliche Technologien angeht.
 

Effizient vorgehen

Der Assistent erstellt etwa Daten zur CO2- oder Solar-Analyse, ruft Informationen rund um den Denkmalschutz ab, zeigt Einsparpotenziale auf und prüft Fördermöglichkeiten. Gleichzeitig wird ein konkreter Modernisierungsfahrplan vorgeschlagen – inklusive Kostenvoranschlägen zum Vergleich. Das Ziel: Privatbesitzenden von Eigentum soll ein Tool an die Hand gegeben werden, ihre Immobilie so effizient wie möglich zu sanieren und so den Klimazielen näher zu kommen. Sowohl Gebäude-Inhaberinnen und -inhaber als auch Handwerksbetriebe profitieren von dem System, da die aufbereiteten Daten Zeit sparen und ein effizienteres Vorgehen von beiden Seiten ermöglichen. Das „Tinder für Gebäudeeigentümer und Handwerker“, wie Biesenbach den Assistenten nennt, wird künftig weiter ausgebaut.

Der Deutsche Nachhaltigkeitskodex

Stephanie Kopp vom Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE) stellte in ihrem Beitrag den Deutschen Nachhaltigkeitskodex (DNK) vor. Der DNK wurde vom Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE) entworfen, welcher im Jahr 2001 erstmalig von der damaligen Bundesregierung berufen wurde. Der DNK unterstützt Unternehmen beim Aufbau einer Nachhaltigkeitsstrategie und bietet einen Einstieg in die strukturierte Nachhaltigkeitsberichterstattung. Nach zwanzig festgelegten DNK-Kriterien und -Leistungsindikatoren können Unternehmen beispielsweise detailliert Auskunft über die Bereiche Ressourcenmanagement, klimarelevante Emissionen, Verantwortung oder Menschenrechte geben. Wird regelmäßig berichtet, kann die Entwicklung des Unternehmens im Verlauf der Zeit nachvollzogen werden.

„Mut zur Lücke“

Der DNK bietet Orientierung, wie die CSR-Berichtspflicht sowie der Nationale Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte praktisch umgesetzt werden können. Anwendende sind große und kleine, öffentliche wie private Unternehmen, die sowohl berichtspflichtig als auch nicht-berichtspflichtig sind. Stephanie Kopp betonte, dass es nicht darauf ankomme, von Anfang an einen perfekten Bericht zu erstellen: „Man muss den sprichwörtlichen „Mut zur Lücke“ haben. Interessant dabei: Mit der Begründung, warum man etwas nicht hat, beginnen die Überlegungen, ob es nicht besser wäre, genau das zu haben, was noch fehlt. Das ist ein erster Schritt für tatsächliche Veränderungen.“
 

Die DNK-Datenbank

Über die DNK-Datenbank lassen sich zudem die Berichte der eingetragenen Unternehmen direkt miteinander vergleichen. Das Interesse am DNK steigt dabei zunehmend – nicht zuletzt, weil künftig immer mehr Unternehmen berichtspflichtig werden. Von Anfang 2020 bis Ende 2022 hat sich die Zahl der Unternehmen, welche den DNK einsetzen, um 66 Prozent erhöht. Derzeit sind in der Datenbank rund 1.000 Unternehmen zu finden.

Strukturiertes Recycling

Manfred Amberger von der Zollner Elektronik AG erläuterte in seinem Vortrag „EMS Life(re)cycle Management – Nachhaltigkeit als Chance für die EMS-Industrie“ das Vorgehen beim Thema Recycling. Das Unternehmen recycelt in Deutschland pro Jahr rund 600 Tonnen. Dabei werden recyclefähige Materialien sorgfältig nach den verschiedenen Wertstoffen getrennt.


Langzeitlagerung gut organisieren

Ein wichtiger Aspekt ist zudem die Langzeitlagerung von Komponenten über mehrere Jahre. Die Problematik dabei: Die Materialien können im Laufe der Zeit durch interne und externe Faktoren geschädigt werden, etwa durch UV-Strahlung, Feuchtigkeit, Vibration oder Oxidation. Diese Faktoren gilt es durch gezielte Maßnahmen bei der Lagerung möglichst auszuschalten, zum Beispiel mithilfe von geregelten Temperaturen, Abdunkelung oder einem Verbot von Flurförderfahrzeugen im Lagerbereich. Auch regelmäßige Prüfungen an den Komponenten unterstützen dabei, auf Einschränkungen in der Funktion oder Verarbeitbarkeit frühzeitig reagieren zu können. Als zukünftige Herausforderung sieht Amberger unter anderem den Bereich nachhaltiges Produktdesign.

Recycling von Leiterplatten

Andreas Nolte von der Aurubis AG stellte in seinem Vortrag die Multimetallgewinnung durch Leiterplattenrecycling in den Mittelpunkt. 15 Prozent der bei Aurubis eingesetzten Recycling-Rohstoffe sind E-Schrotte bzw. Fraktionen aus Vorbehandlungen.

Allein der Aurubis Standort Lünen verarbeitet jährlich mehr als 100.000 Tonnen meist komplexe Recycling-Rohstoffe aus dem Bereich Elektro- und Elektronikschrott (WEEE). Das Werk Lünen hat im Jahr 2022 rund 25.000 Tonnen Leiterplatten verarbeitet. Das Problem: Materialkomponenten- und Inhalte von Leiterplatten sind kaum mechanisch zu trennen – High-Tech-Produkte benötigen High-Tech-Recyclingverfahren.

Die Bewertung von Rohstoffen wie Edelmetalle auf 1 ppm genau ist dabei eine essentielle Voraussetzung um E-Schrotte zu verarbeiten. Sie werden in High-, Medium- und Low-Grade-E-Schrotte eingeteilt.

 

Als Voraussetzungen für das Multimetall-Recycling wurden mehrere Punkte herausgestellt, z. B.:
 

  • Verbundwerkstoffe erfordern neue/alternative mechanische und chemische Trenn- und Aufbereitungsverfahren.
  • „Design for Recycling“ muss künftig eine größere Rolle spielen – auch bei Leiterplattendesigns.
  • Es entstehen Koppel-, Begleit- und Nebenprodukte – diese brauchen Märkte.
  • Eine Steigerung der Metallausbeute bei geringem Energie- und Ressourceneinsatz bis zur Klimaneutralität ist essenziell.
  • Metall-Recycling ist energie-intensiv – hier werden grundsätzlich verlässliche Rahmenbedingungen benötigt.
  • Die Weiterentwicklung von metallurgischen Prozessen muss vorangetrieben werden (autotherme Prozesse auch mit Al, Fe und Si als Energieträger und Reduktions- bzw. Entschwefelungsmittel – aber CO2-frei)
  • Hochmoderne Separationstechniken auf Basis von XRF Röntgenfluoreszenz, XRT Röntgentransmission, LIBS Laserinduzierter Plasma-Spektroskopie und NAA Neutronen Aktivierungsanalyse müssen vorangetrieben werden.
  • Es sind integrierte und branchenübergreifende Recycling-Dienstleistungskonzepte nötig (Bündelung).

Nachhaltigkeit in der Elektronikindustrie nicht ausreichend

Michael Künsebeck von in4ma Market Research & Analyses setzte sich in seinem Beitrag „Aktueller Stand der Nachhaltigkeit in der EMS-Industrie“ intensiv mit dem Thema Greenwashing in der Elektronikindustrie auseinander. „Wir müssen genau hinsehen, wo die Industrie ernsthaft etwas zum Umweltschutz beiträgt und wo wirtschaftliche Interessen als Umweltschutz vorgeschoben werden.“

Häufig würde das Problem etwa an die Lieferunternehmen abgeschoben. Außerdem konzentriere man sich häufig auf Verpackungsmaterialien anstatt auf das eigentliche Produkt, und: Allzu oft fänden sich bei den Unternehmen Worthülsen ohne konkreten Inhalt.

Die Industrie muss umdenken

Im Bereich Social Responsibility kritisiert Künsebeck die Fokussierung auf Allgemeinplätze wie etwa die Gleichstellung von Mann und Frau oder die ethnische Herkunft. Dies sollte eine Selbstverständlichkeit sein – die wahren Problemfelder würden dagegen oft übergangen. Viele Maßnahmen dienten zudem primär der Kosteneinsparung und nicht dem Umweltschutz.

Die Elektronikbranche sollte sich seiner Meinung nach im Bereich Nachhaltigkeit auf den Themenschwerpunkt Umwelt fokussieren, und zwar insbesondere auf die Lebensdauer von Produkten, die Wiederverwendbarkeit von Bauteilen und die Abfallreduzierung durch Miniaturisierung. Intelligentes Design müsse endlich auch die Abfallreduzierung im Fokus haben, so der Experte.

Die GoZero-Initiative

Dr. Gerhard Aust und Quentin Zapf von der Prettl Electronics GmbH erläuterten in ihrem Vortrag „Nachhaltigkeitsstrategien in der Elektronikfertigung – Herausforderungen und Implementierung am Beispiel der Prettl Electronics“ die GoZero-Initiative des Unternehmens. Im Jahr 2020 wurde eine Selbstverpflichtung zum Klimaschutz im Rahmen der Initiative Prettl GoZero ins Leben gerufen. Diese wurde in Kooperation mit Bosch Climate Solutions konzeptionell erarbeitet. Prettl GoZero beschreibt den Weg der Unternehmensgruppe zur Klimaneutralität in den vier Bereichen Energieeffizienz, regenerative Energien, Grünstrom und Kompensationsmaßnahmen.

Konkrete Maßnahmen

Neben dem Einsatz von Grünstrom, Fernwärme (Biogas) und Elektrofahrzeugen wurden auch die betrieblichen Prozesse in den Fokus genommen. So wurde ein Abschalt- und Anlaufkonzept für die Maschinentechnik entwickelt, die Beleuchtung mithilfe von LEDs und Präsenzmeldern optimiert und eine Leckage-Messung für die Druckluftinfrastruktur eingeführt. Großer Wert wurde darauf gelegt, das Energiemanagement in die organisatorischen Strukturen einzubeziehen, die Beschäftigten rund um das Thema energiebewusstes Handeln zu sensibilisieren und Anreize für sie zu schaffen – etwa durch die Möglichkeit, den betrieblichen E-Transporter für private Zwecke zu nutzen.

 

Finanzielle Unterstützung durch Förderprogramme

Für die Finanzierung wurden unter anderem Förderprogramme genutzt, wie etwa die Förderung des Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) im Rahmen der Module 1 bis 4 sowie Förderungen aus dem KfW-Energieeffizienzprogramm. So wurde die Anschaffung von neuen Druckluftkompensatoren beispielsweise mit 30 Prozent (rund 25.000 Euro) gefördert. Derzeit arbeitet das Unternehmen an einem Ausbau im Bereich Digitalisierung der Energiemessung. Grundlage dafür sind die Energieleistungskennzahlen (EnPI‘s). Dabei steht die Weiterentwicklung der EnPI-Kennzahl im Bereich SMD im Vordergrund.

Green Electronics – Fazit

„Green Electronics“ konnte in vielen Bereichen Denkanstöße geben – Problemfelder wurden offen angesprochen, aber auch eine Vielzahl konkreter Handlungsmöglichkeiten aufgezeigt. Wichtig ist, das Thema anzugehen und als langfristigen Prozess zu verstehen. Auch wenn getroffene Maßnahmen noch nicht vollständig sind, nicht alle Bereiche gleichzeitig abgedeckt werden können und es immer weiteren Optimierungsbedarf geben wird – jeder Schritt in Richtung Nachhaltigkeit kann etwas bewirken. Klar ist, dass das Thema auch in Zukunft noch viel Potenzial bietet. Eine Folgeveranstaltung ist in Planung.

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